Blick und Balance

D
ie Ellipsen des Jaakov Blumas und das Recht des Bildes
The basis of their whole idea is balancea Frank Stella 1964

1
F
lächen und Kurven, Streifen und Striche. Farben und Fassungen formieren sich in den Arbeiten von Jaakov Blumas zu geschlossenen und zugleich offen anmutenden Formationen. Gewinkelt, gestreckt, unterteilt. aneinandergereiht bilden sie zuweilen Paare oder verketten sich zu wechselnden Konstellationen eines Moduls, die das Bildgeviert hinter sich lassen. Indem die Verknüpfungen des optisch zu erfassenden Materials sich spiegeln, verdoppeln, umkehren, bringen sie mit dieser Erweiterung, die das Unabgeschlossene denkbar macht, stets neue Nuancen ins Spiel, ein Spiel, das bald zum schillernden Ornament sich fügen mag. In den ab- und anschwellenden Wirkungen der Farben ebenso wie in der Binnenstruktur – gebildet aus unvermutet auftauchenden Strich- und Kreiseinlagen, unterstützt von unregelmäßig zerriebener Farbstruktur – begegnet dagegen die untergründige Seite der ins Bild gehobenen Zeichen: Die Präsenz ihres eigenen Verschwindens. Jedes Teil der Bildformationen hat bei Blumas eine Gegenwärtigkeit, es hat einen Augenblick des Erfassens: Präzise sind die Details - wie unter der Lupe betrachtet – ins Werk gesetzt. Zugleich aber geraten die Kürzel zu Zeichen, die sich im Augenblick der Anschauung nicht enthüllen, da sie sich der ins Bild gehobenen Präsenz zugleich entgegenstellen. Auf mannigfaltige Weise zergliedert, wird der Blick auf unbekanntes Terrain gelenkt. Die Zeichen ähneln zwar bereits gesehenen Informationsträgern, locken somit auf die Fährte plakativer Seherfahrungen, sie erweisen sich jedoch als Markierungen, die nichts anderes tun, als die Großformen der Bildereignisse beständig zu erschüttern, ja zu entstellen. Es gelingt eine Differenz im Bild selbst: Die Enthüllung der Farben und Formen wird zu einem Verbergen ihrer Sinnhaftigkeit.

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E
in Bild ist eine Schnittfläche. Es unterbricht, wie jeder andere Gegenstand, der sich
in den Blick stellt, den Sehstrahl auf seinem Weg in die Tiefe. Das Bild hat die Chance, diese Aufprallzone zu gestalten und den Blick auf andere Eigenschaften aufmerksam zu machen. Darüber hat Jaakov Blumas nachgedacht. Natürlich könnte er wie jeder andere Maler die verweigerte Tiefe durch eine andere, illusionistische ersetzen. Er kann aber auch die Fläche, die der Schnitt offeriert, nutzen, um das Sehen anders zu plazieren, um Unerwartetes eintreten zu lassen. Das aber berührt jene Balance, die der Sehakt auf den Körper zu übertragen versteht: Blick und Leib werden irritiert und abgelenkt. Indem Blumas die Koordinaten auf der Schnittfläche zu keinen Äquivalenten einer erwarteten Räumlichkeit organisiert, lenkt er mit seinen Zergliederungen die Suche nach Balance zum permanenten Angebot avancieren, das den Rezipienten stets dazu auffordert, nicht das Bild, sondern sich selbst und die eigene Wahrnehmung als zu beachtende und zu koordinierende Größe zu erkennen.Mit dieser Verklammerung von Bildsehen und Selbstwahrnehmung, von ferner und naher Befindlichkeit, entfaltet das Bild ein mehrdimensionales Erfahrungspotential, auch jenes zwischen Bild und Objekt. Es gerät zur Konstruktion einer eigenen Substanz, die das Unerwartete, die das Andere eingedenkt, so dass Farben und Formen nicht in einer widerspruchslosen Einheit aufgehen und das Resultat etwa ebenso nüchtern gebaut wie gefühlvoll gemalt erscheint.Blumas operiert zwar mit bekannten Formen, mit Linie, Fläche, Dreieck, Rechteck – für den in dieser Aufzählung zu erwartenden »Kreis« bevorzugt er jedoch die Ellipse. Diese erweist sich als ein Schlüssel seines Abweichens. Eine Ellipse erscheint nämlich flächig und räumlich zugleich, als durch die Perspektive verzerrte Kreisfläche. Ferner offeriert die Ellipse eine Sehambivalenz zur Mitte, da sie zwei Brennpunkte besitzt.

Bekannt ist, daß die fokussierende Wahrnehmung ein Teil der allgemeinen Bild-wahrnehmung ist, der andere ist die begleitende Wahrnehmung unscharfer Peri-pherien. Diese Unterscheidung bezieht sich auf diedifferente Wahrnehmung des Bildes aus Nah- und Fernsicht. Versucht man die eine zu isolieren, stört stets die andere. Blumas hat beide Eigenschaften ins Bild übertragen, will sagen, er hat Fern- und Nahsicht ineinander verkeilt. Großform und Detailform erscheinen gleich wichtig. Ergebnis ist ein sprunghaftes Hin und Her, das kein sukzessives Einsehen ermöglicht.

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Insgesamt erhalten die Formen von Jaakov Blumas eine Prägung, die das schnell Erfaßbare eines Zeichens in eine Mehrstimmigkeit überführt: Linien fungieren als Schnittflächen, den Reduktionen antwortet das Ornament, der Askese der Schmuck. Die Flächen erscheinen wie Malerei ohne gestische Spur, die Details verraten untergründige Überlagerungen und Materialschichten. Aus den Konstruktionen der Gesamt- und Großformen tritt die Farbe als Plasma hervor, was den Gegensatz von Form und Materie aufgreift und nicht eindimensional zu beantworten sucht. Diese Zwischenstellungen prädestinieren Jaakov Blumas‘ Arbeiten als Lehrstücke für das Sehen. Die Frage, was denn ein Bild sei, beantwortet der Künstler mit der Aufgabe, durch den Sehakt selbst das Anzuschauende zu generieren. Der Elementarität der Farben und Formen begegnet auch auf diese Weise das mehrdeutige Unbekannte. Nun gibt es kein isoliertes Sehen. Jeder Mensch sucht mit seinem Körper Maß zum Bild zum finden und sich im Raum zu situieren. Der suchende Blick erfährt in Jaakov Blumas‘ Werken auf diese Weise eine die Seiten auch in umgekehrter Richtung zu betretende Brücke: Die Abstraktionen innerhalb der Werkkonstellationen weisen den Blick zum Körper zurück. Im Auge der Erfahrenden wandelt sich das Mißtrauen gegenüber den Organisationen von Farben und Formen auf einer Fläche dergestalt zur Anerkennung: Das Recht des Bildes erschließt sich nun als Angebot einer bauenden, beweglichen Wahrnehmung, die sich repräsentierenden Zuweisungen entzieht.

Bekannt ist, daß die fokussierende Wahrnehmung ein Teil der allgemeinen Bild-wahrnehmung ist, der andere ist die begleitende Wahrnehmung unscharfer Peri-pherien. Diese Unterscheidung bezieht sich auf diedifferente Wahrnehmung des Bildes aus Nah- und Fernsicht. Versucht man die eine zu isolieren, stört stets die andere. Blumas hat beide Eigenschaften ins Bild übertragen, will sagen, er hat Fern- und Nahsicht ineinander verkeilt. Großform und Detailform erscheinen gleich wichtig. Ergebnis ist ein sprunghaftes Hin und Her, das kein sukzessives Einsehen ermöglicht.

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Insgesamt erhalten die Formen von Jaakov Blumas eine Prägung, die das schnell Erfaßbare eines Zeichens in eine Mehrstimmigkeit überführt: Linien fungieren als Schnittflächen, den Reduktionen antwortet das Ornament, der Askese der Schmuck. Die Flächen erscheinen wie Malerei ohne gestische Spur, die Details verraten untergründige Überlagerungen und Materialschichten. Aus den Konstruktionen der Gesamt- und Großformen tritt die Farbe als Plasma hervor, was den Gegensatz von Form und Materie aufgreift und nicht eindimensional zu beantworten sucht. Diese Zwischenstellungen prädestinieren Jaakov Blumas‘ Arbeiten als Lehrstücke für das Sehen. Die Frage, was denn ein Bild sei, beantwortet der Künstler mit der Aufgabe, durch den Sehakt selbst das Anzuschauende zu generieren. Der Elementarität der Farben und Formen begegnet auch auf diese Weise das mehrdeutige Unbekannte. Nun gibt es kein isoliertes Sehen. Jeder Mensch sucht mit seinem Körper Maß zum Bild zum finden und sich im Raum zu situieren. Der suchende Blick erfährt in Jaakov Blumas‘ Werken auf diese Weise eine die Seiten auch in umgekehrter Richtung zu betretende Brücke: Die Abstraktionen innerhalb der Werkkonstellationen weisen den Blick zum Körper zurück. Im Auge der Erfahrenden wandelt sich das Mißtrauen gegenüber den Organisationen von Farben und Formen auf einer Fläche dergestalt zur Anerkennung: Das Recht des Bildes erschließt sich nun als Angebot einer bauenden, beweglichen Wahrnehmung, die sich repräsentierenden Zuweisungen entzieht.

 

Martin Roman Deppner, 2000



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